Matthias Voß zieht als Druckereileiter in Potsdam Bilanz: „Die größte Herausforderung ist, die Menschen mitzunehmen“

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M. Voß hat vor der Wiedervereinigung in der DDR Journalistik studiert. Er spricht und schreibt in mehreren Sprachen und war in der Vergangenheit Redner bei vielen WAN-IFRA-Veranstaltungen. Er wechselte vom Journalismus in die Produktion und war 16 Jahre lang Leiter Druck in Potsdam. Er hat an der umfassenden Modernisierung der Druckvorstufe, der Drucktechnik und der Druckqualität mitgewirkt und mit seinem Team eine Reihe von ICQC-Auszeichnungen erhalten.

WAN-IFRA: Könnten Sie uns bitte über Ihre Erfahrungen bei einer deutschen Regionalzeitung berichten und was sich in den letzten 30 Jahren verändert hat?

M. Voß: Die Regionalzeitung „Märkische Allgemeine“ in Potsdam blickt auf einen mehr als 130-jährige Geschichte zurück. Nach wie vor ist sie für die Menschen in großen Teilen des Landes Brandenburg die wichtigste Informationsquelle über das Leben in ihrer Region. Dazu können Chefredakteure und Verleger mehr sagen. Ich habe den enormen technischen Sprung miterlebt, den die Branche in den letzten 30 Jahren vollzogen hat. Begonnen habe ich 1990 an einer Hochdruckmaschine der PLAMAG Plauen, mit Bleiplatten, einer Papierbahn und Farbzonen, die mit der Hand gestellt wurden. 1994 konnten wir mit unserem neuen Druckhaus am alten Standort den Übergang zum Offsetdruck vollziehen, 2006 löste CtP die filmbasierte Plattenproduktion ab, 2014 ging die Commander CL mit Plattenvollautomat, Plattenlift, Closed Loop und der Waschtechnik von Techniweb in Produktion – steuerbar nicht mehr mit Rädern und Hebeln, sondern sogar mit einem Tablet.

Dass wir das flächenmäßig größte Verbreitungsgebiet einer Regionalzeitung in Deutschland abdecken, hat bei der Entscheidung für neue Drucktechnik natürlich eine besondere Rolle gespielt. Alles in allem drucken wir allein im Rheinischen Format 20 Tageszeitungsausgaben mit einer einzigen Druckmaschine, bis zu 32 Seiten im Hauptblatt, natürlich vierfarbig. 1990 hatte die Hauptausgabe acht Seiten, war schwarz-weiß, gedruckt auf vier Maschinen. Erwähnen möchte ich, dass wir neben den Regionalzeitungen mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ und dem „Handelsblatt“ Teilauflagen zwei der bedeutendsten Tageszeitungen Deutschlands drucken.

Worin lag für sie die größte Herausforderung in dieser Entwicklung?

Die größte Herausforderung sah und sehe ich darin, die Menschen mitzunehmen. Machen wir uns nichts vor: 1990 war die Rotation nicht besonders geliebt, qualifizierte Drucker arbeiteten lieber im Bogen- oder Buchdruck. In der Rolle war es körperlich anstrengend und viele Kollegen wurden für die Arbeiten an der Maschine nur angelernt. Und mit diesen Kollegen haben wir all die Entwicklungen vollzogen, die ich umrissen habe. Immer wieder mussten sie lernen, diesen weiten Weg von einer rein mechanischen Bedienung zu einer computerbasierten Steuerung per Touchscreen mitzugehen. Und sie haben es geschafft. Die letzten Kollegen dieser Generation gehen jetzt in den Ruhestand. Neue sind hinzugekommen. Und ich bin stolz darauf, dass wir als relativ kleine Druckerei aktuell wieder vier junge Frauen und Männer für unsere Beruf ausbilden dürfen.

War es schwer, für die Ausbildung zum Medientechnologen Nachwuchs zu gewinnen?

Ja, es ist schwer geworden. Vor 15 Jahren hatten wir noch 25 bis 30 Bewerberinnen und Bewerber für einen Ausbildungsplatz, jetzt müssen wir selbst aktiv suchen, wir gehen sogar direkt in die Schulen und versuchen, junge Leute für Zeitungsprojekte zu gewinnen, die bis zum Druck einer eigenen Zeitung führen. Das haben wir gerade mit deutschen und syrischen Schülerinnen und Schülern einer Potsdamer Gesamtschule erfolgreich praktiziert. Wir hoffen, dass es ein wenig ausstrahlt. Auch über den FDI Berlin/Dresden, in dessen Ältestenrat ich jetzt mitwirke, versuchen wir, Lobbyarbeit für unsere Branche zu leisten. Vor allem müssen wir darauf achten, dass die Ausbildung nicht langweilig wird für die jungen Leute, die heutzutage nach ständiger Abwechslung suchen. Zeitungsproduktion ist nun einmal tägliche Wiederholung bestimmter Arbeitsabläufe. Wir arbeiten daran, auch wenn es uns Corona schwer machte, zusätzliche Inhalte in die Ausbildung einzuführen und mit Kooperationen zum Beispiel mit KBA oder Digitaldruckern ein breiteres, für die Zukunft ausbaufähiges Wissen zu vermitteln. Denn so wie es ist, wird es nicht bleiben.

Wie sehen Sie die Entwicklung einer typischen deutschen Regionalzeitung?

Als Leser glaube ich, dass die Regionalzeitung die wichtigste regionale Informationsquelle bleiben wird, und das noch über lange Zeit in gedruckter Form. Hinsichtlich überregionaler Informationen, darunter zähle ich auch den Sport zum großen Teil, werden ihnen wohl die elektronischen Medien den Rang ablaufen, in der Hintergrundinformation eher Wochenzeitschriften und Magazine.

Hinsichtlich der technischen Aspekte wird die Sicherung einer flächendeckenden aktuellen Zustellung die größte Herausforderung darstellen, die Auswirkungen auf Druckabläufe und Weiterverarbeitung hat.

Sollten Zeitungsdrucker versuchen, der Drucker aller Zeitungen in der Region zu werden?

Dieser Konzentrationsprozess ist schon lange im Gange und im Osten Deutschlands besonders deutlich. Die hohen Unterhaltungskosten einer Druckerei, wenn ich allein an die Energiepreise denke, werden ihn beschleunigen.

Die Vielfalt der Zeitungslandschaft wird aber nicht von der Anzahl der Druckereien bestimmt, sondern von der Vielfalt der redaktionellen Arbeit. Die Leser möchten ihre regionalen Besonderheiten, Traditionen, selbst Sprachgewohnheiten auch bei überregionalen Themen wiederfinden.

Was ist Ihre Meinung zu den verschiedenen Zeitungsformaten hier in Deutschland? Was sind die Vor- und Nachteile?

In Potsdam werden Tageszeitungen und andere Produkte im Nordischen und Rheinischen Format und den dazu gehörigen Halbformaten gedruckt. Dabei passen Inhalte und Format gut zusammen. Dennoch ist mein Eindruck, dass sich Lesegewohnheiten verändern, durch Veränderungen der Arbeitsplätze und durch andere Darstellungsformen, die mit den elektronischen Medien kommen. Konzentrationsprozesse im Druck werden ebenfalls Einfluss auf Verlagsentscheidungen haben. Da hat es das Nordische Format in Zukunft vielleicht nicht so leicht. Das Rheinische Format halte ich für regionale Titel für das richtige.

Eine Ihrer Prioritäten war es, qualitativ hochwertige Zeitungen zu drucken – beispielsweise durch die Teilnahme am ICQC. Glauben Sie, dass sich dieser Trend fortsetzt?

Zur Teilnahme am ICQC waren wir vor allem durch die „F.A.Z.“ angeregt worden, die schon immer besonderen Wert auf Qualität gelegt hat. WAN-IFRA hat uns darin unterstützt, das nötige Handwerkszeug anzueignen. Und natürlich sind wir stolz darauf, dass wir es bis in den Star Club geschafft haben.

Aber ich sehe auch, dass heute in allen Diskussionen die Kosten im Vordergrund stehen. Intensive Beschäftigung mit Qualität kostet Zeit und Kraft. Reklamationen sind sehr selten, die Zeitungstechnik bietet einen sehr hohen Standard.

Ich kann den Unternehmen aus eigener Sicht trotzdem nur empfehlen, sich dieser Herausforderung zu stellen. Unabhängig davon, ob man es erfolgreich durch den Wettbewerb schafft, wird man gezwungen, seine eigenen Arbeitsabläufe, den Maschinenzustand und die eingesetzten Materialien kritisch von außen zu betrachten und zu optimieren. Auf der anderen Seite bringt der Wettbewerb den Mitarbeitern einen Motivationsschub und eine Auffrischung verschütteter oder das Erlangen nie vorhandener Kenntnisse. Vor 32 Jahren hat bei uns niemand von Lab-Werten gesprochen. Erfahrungsaustausch über die Grenzen des eigenen Druckhauses hinaus kann ebenfalls nicht schaden.

Können Sie uns eine Prognose geben, wie die Zeitungsproduktion in fünf Jahren aussehen wird?

Ich bin überzeugt davon, dass es auch in fünf Jahren noch gedruckte Zeitungen geben wird.

Die Drucktechnik selbst ist sehr hoch entwickelt, da rechne ich nicht mit Überraschungen. Aber die Drucker und ihre Maschinen können oftmals mehr an Vielfalt leisten, als ihnen die Verlage zurzeit abverlangen.

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